Rechter Streamer in Leipzig unterwegs: Wer ist „Weichreite TV“?

Ausgestattet mit Smartphone und Selfie-Stick, ist er seit April 2021 nicht nur auf rechten und verschwörungsideologischen Aufmärschen, sondern auch am Rande linker Demonstrationen und Kundgebungen zu beobachten: Sebastian Weber, geboren 1989 und besser bekannt unter seinem fantasielosen Pseudonym „Weichreite TV“. Stundenlang überträgt der rechte YouTuber regelmäßig das Geschehen zahlreicher politischer Versammlungen live ins Netz – überwiegend aus Leipzig und Umgebung, zuletzt aber auch aus Süddeutschland und Paris. Im dazugehörigen Live-Chat ergießen sich dabei die rassistischen Hasskommentare seiner Fangemeinde.

Neben der wohlwollenden Verbreitung des rechten Demonstrationsgeschehens hat sich Weber auch das Abbilden und Provozieren von linken (Gegen-)Demonstrant:innen zur Aufgabe gemacht, oft mit dem Ziel, diesen bestimmte Antworten zu entlocken oder sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Häufig belästigt er Einzelpersonen vor laufender Kamera und streamt Gesichter von Antifaschist:innen gegen deren Willen ins Internet. Mit dieser Anti-Antifa-Arbeit gefährdet er nachhaltig Genoss:innen. Wenn Menschen versuchen, sich dagegen zu wehren, stellt Weber Anzeigen bei der Polizei.

Besonders bei den Versammlungen von Volker Beiser, die sich nach der „Querdenken“-Demonstration am 07.11.2020 im ersten Quartal 2021 in Leipzig zusammenfanden und ab April 2021 als Montagsdemos von ihm begleitet wurden, tut Weber sich hervor. Rechten jeglicher Couleur stellt er lediglich unkritische Fragen. Sie erhalten mit „Weichreite TV“ eine Plattform zur Verbreitung ihrer Ideologie. So kann sich etwa der gewaltbereite Neonazi Lucien Wagner bei „Weichreite TV“ als netter, friedlicher Mensch präsentieren. Auch Wagners Kameraden Dominik Greschow und Eric Hanke kommen bei Weber unkommentiert zu Wort.

Gegenüber Polizei und unbedarften Interviewpartner:innen gibt Weber sich regelmäßig als Pressevertreter aus. Tatsächlich ist der YouTuber auf den ersten Blick schwer zu greifen. Doch nicht nur seine Person, sondern auch die Auswahl seiner Interviewpartner:innen spricht eine eindeutige Sprache. Weber interviewt extrem rechte Akteure nicht nur auf der Straße, sondern auch in deren Räumen. Im Februar 2023 filmte er ein Gespräch mit Vincenzo Richter (https://www.belltower.news/kulturhauptstadt-2025-ib-kader-im-kultur-aufsichtsrat-chemnitz-150775/), einem Kader der „Identitären Bewegung“ aus Chemnitz, in den Räumen der Nazi-Burschenschaft „Dresdensia Leipzig“. Im selben Monat besuchte er den „Politischen Aschermittwoch“ der extrem rechten Organisation „Miteinanderstadt Gera“, wo sich Akteure und Anhänger:innen der „Freien Sachsen“, „Freies Thüringen“, „Compact-Magazin“ und weiterer rechter Gruppierungen die Klinke in die Hand gaben.

Der angebliche „freie Reporter“ ist nicht so unabhängig, wie er suggeriert. Am 26. Mai 2019 wurde Sebastian Weber für die AfD in den Stadtrat von Borna gewählt. Wenig später, am 18. September 2019, zog er für die verfassungsfeindliche Partei auch in den Kreistag des Landkreises Leipzig ein. In beiden Gremien ist er unscheinbar und meldet sich kaum zu Wort. Im Frühjahr 2023 wurde befürchtet, dass er in den Jugendhilfeausschuss des Landkreises nachrücken könnte. Ein Artikel des Dokumentationsprojekts chronik.LE vom Mai 2023 ordnet Webers parlamentarische und mediale Tätigkeiten ein und listet weitere Interviewpartner:innen – Neonazis, Holocaustleugner, AfDler, neurechte Ideologinnen – auf: Auf der Straße und im Parlament: Der rechte Medienaktivist „WeichreiteTV“.

Die Entstehung des Phänomens „Weichreite TV“ lässt sich anhand von Webers eigenen Angaben nachvollziehen. Am 7. November 2020 sei er von einem Freund zu einem großen „Querdenken“-Aufmarsch nach Leipzig mitgenommen worden. Angeblich wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht, worum es bei dieser Versammlung gehen sollte. Dennoch beteiligte er sich als Versammlungsteilnehmer am ersten Versuch, auf Höhe der „Fairplay Sportsbar“ eine Polizeikette zu durchbrechen. (https://www.youtube.com/watch?v=JRiES3orIjQ&t=389s) Mit der Berichterstattung über die gewaltsamen, von Neonazis und Hooligans angeführten Durchbrüche und dem anschließenden Zug durch die Stadt sei er unzufrieden gewesen, da er die Versammlung als friedlich empfunden habe. Daraufhin habe er beschlossen, selbst Demonstrationen medial zu begleiten.

Im Jahr 2021 zog Sebastian Weber, bis dahin wohnhaft in der Altenburger Straße 9 in 04552 Borna, in den Zwenkauer Ortsteil Großdalzig um. Dadurch musste er sein Mandat im Bornaer Stadtrat niederlegen, im Kreistag sitzt er weiterhin. Einer geregelten Arbeit scheint der ehemalige Berufssoldat, der teils mehrere Livestreams pro Woche sendet, derzeit nicht nachzugehen. Offensichtlich geht es bei seiner Youtube-Präsenz auch ums Geldverdienen, er sammelt online Spenden und nimmt auf rechten Versammlungen Bargeld an.

Allen Antifas sei empfohlen, nicht mit Nazis zu reden und sich nicht auf Provokationen rechter „Medienaktivisten“ einzulassen. Jede Reaktion auf Weber und seine Kamera kann als Einverständnis zur Veröffentlichung von Nahaufnahmen gewertet werden.

Feedback zu seiner „journalistischen“ Arbeit erreicht Sebastian Weber an seinem Wohnort in der Carsdorfer Straße 7 in 04523 Zwenkau-Großdalzig. Unterwegs kann Weber mit seinem schwarzen Kia Ceed mit dem Kennzeichen L-ZZ 266 angetroffen werden.

Foto: Wohnhaus von Sebastian Weber in Zwenkau-Großdalzig